
Paul Baum: Waldrand mit Vorfrühlingswiese (1893)
Tante Lotte erzählt von früher
Der Vater gefallen, die Mutter allein,
Vier Kinder, den Ältesten zog man noch ein…
Mit Staunen und Ehrfurcht sitzt man daneben,
Erzählt Tante Lotte aus ihrem Leben.
„Mit Mutter nach Freiburg g’fahrn, ins Lazarett,
Sei‘ Rücka ganz aufg’schossa, lag er im Bett,
Sind grade no rechtzeitig zu nem komma,
Da hat ihn der Herrgott scho zu sich g’nomma.“
Im Krieg dann auch nächtelang Fliegeralarm,
Von Bonlanden sah man den tödlichen Schwarm,
Der leuchtend auf Stuttgart niedergegangen,
’s Inferno hat grauslich schön angefangen…
„Der Krieg hat älle b’schissa,
Han viel erleba müssa,
Han selber d‘Witwenschaft g’schmeckt
Und zwoimal is‘ Geld verreckt.“
„Wollt mi nach Dachau bringa,
Weil keine Fahna hänga,
Nachts g’holt hen sen Vater mal,
Zwei Wocha Ung’wissheit, Qual.“
„Kaum dass die Heirat g’wesa,
Musst i die Nachricht lesa,
Koi Mann und koi Vater meh‘,
‘s tut immer no älles weh.“
‘Schnell raus aus dem Keller‘, stand immer offen,
Ein feindlicher Bomber, den d‘Flak getroffen,
Am Kirchturm vom brennenden Flügel gekürzt,
Wär beinah ins Haus, in die Roggagass g’stürzt.
‘Helf, helf‘ hend se laut im Haberschlai g’schria,
Mit Fallschirm‘ sind’s raus mit letztem Bemüha,
Das Heck hing am Nachbarhaus, grad vis-à-vis,
Ein Bordschütze drin no, vergiss i au nie.
Den hend’s an de‘ Füß dann die Trepp ra’zoga
Und jedes Mal hat er da‘ Kopf ang’schlaga,
Wo d’andre Pilota so schlimm g‘storba sind:
Die Muld am Wacholder ma heute no find‘t…
©Wolfregen
PS: was Lotte „mitmachen“ musste:
Tod des Vaters am 15.05.1940 in Freiburg, fünf Tage zuvor war er auf dem Kasernenplatz von Bordwaffen eigener Flugzeuge, die irrtümlich Freiburg angegriffen hatten, tödlich verwundet worden;
der Ortsgruppenleiter drohte mit Dachau, weil sie keine „Hitlerfahne“ am Haus aufhängen wollte (wörtlich: „hätt‘ grad Lust, di‘ nach Dachau zu bringa“), schon der Vater war einmal nach der „Machtübernahme“ für zwei Wochen verschleppt worden;
der ältere ihrer beiden Brüder wurde mit 17 Jahren eingezogen und geriet in Gefangenschaft, aus der er erst lange nach dem Krieg zurückkehrte;
Absturz eines kanadischen Bombenflugzeuges in der Nacht zum 25.07.1944 in Bonlanden, keiner der Insassen überlebte, zwei versuchten noch mit dem Fallschirm abzuspringen, verunglückten aber auf der nahen Wacholderheide (Haberschlai) tödlich;
ihr erster Mann fiel noch kurz vor Kriegsende im April 1945 bei Berlin
Wieder einige Übersetzungshilfen: „g’fahrn“=gefahren, „sei‘ Rücka ganz aufg’schossa“=den Rücken von oben bis unten aufgeschossen, „no“=noch, „zu nem komma“=zu ihm gekommen, „scho g’nomma“=schon genommen, „älle b’schissa“=alle betrogen, „han“=ich habe, „erleba müssa“=erleben müssen, „d‘Witwenschaft g’schmeckt“=Witwenschaft erleben müssen, „zwoimal is‘ Geld verreckt“=zweimal ist das Geld entwertet worden, „mi“=mich, „bringa“=bringen, „Fahna hänga“=Fahnen hängen, „g’holt hen sen mal“=einmal wurde er mitgenommen, „zwei Wocha Ung’wissheit“=zwei Wochen lang Ungewissheit, „g’wesa“=gewesen, „lesa“=lesen, „koi“=keinen, „meh‘“=mehr, „no älles“=noch alles, „d‘Flak“=die Flak (Flugabwehrkanone), „in die Roggagass g’stürzt“=auf die Roggenstraße gestürzt, „hend se“=haben sie, „g’schria“=geschrien, „sind’s“=sind sie, „Bemüha“=Bemühen, „vergiss i au nie“=vergesse ich auch nie, „hend’s an de‘ Füß die Trepp ra’zoga“=sie zogen ihn an den Beinen die Treppe herunter, „da‘ Kopf ang’schlaga“=mit dem Kopf aufgeschlagen, „d’andre Pilota“=die anderen Piloten, „g‘storba“=gestorben, „Muld“=Mulde, „ma“=man, „no find‘t“=noch finden kann
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