Goldene Blätter fielen
Den ganzen Tag, den kühlen;
Die Sonne sieht scheidend hinein
In den nebligen Hain:
Die hohen Bäume stehn da
Wie trauernde Riesen,
Stumm, für sich und allein.
Der Goldhauch der Wiesen
Das letzte Sonnenlicht sah.
Heilig geheime Tage
Des Sterbens und der Klage!
Ein dunkler, ernsterer Engel trat
Zu dem Welken und Müden,
Das weinend um Stärkung bat.
Doch dem Dunkel, dem Schmerz,
Folgt belebend der März,
Wenn wieder von Süden
Ein neuer, stillerer Frühling naht.
Warmer Schnee und kaltes Feuer,
Ähnlich krude Ungeheuer
Wünscht der Träumer sich im Land;
Leider fehlt mir der Verstand,
Solche Zwitter zu begreifen,
Bunte Seifenblasen reifen.
Welches Flattern, welches Drängen:
Hunderte Vampire hängen
An dem Halse einer Kuh
Und zwölf Geier sehen zu;
Hält sich kaum noch auf den Beinen,
Blutleer wankt sie, will mir scheinen.
Will und kann sich nicht mehr wehren,
Kleinster Grund soll sie ernähren,
Den der Märchenzaun ihr lässt;
An dem Glauben hält sie fest:
Alles sei zu ihrem Guten,
Mag sie taumelnd auch verbluten.
Baldurs Zeiten sind verschwunden,
Tote Kunst vermehrt die Wunden,
Nur ein Abendhimmel bleibt;
Kein Gestirn die Nacht vertreibt,
Menschheit sinkt ins Bodenlose,
Lang schon fort ist alles Große…
Vom Hügel hinab er nach Norden schaut:
Alles zersiedelt, alles verbaut,
Hässliche Häuser, Straßen, Fabriken,
Mit einem Gesicht, als würd er ersticken,
Und sagte ernst: Was die mir angetan!
So lernt ich ihn kennen: den Panmulan…
Sah merkwürdig aus mit Barett und Bart,
Altachtundsechzig so in der Art;
Ich bin ein Hirte, ließ er uns wissen,
Sprach‘s langsam, mit Nachdruck, augenbeflissen –
Und dass er klamm und ganz normal nicht war,
Das war mir schon damals als Schüler klar.
Zertrat eine Schnecke auf seinem Weg,
Tief in Gedanken, hochgeistig reg,
Breite Gesundheitsschuhe die Täter,
Spion sein des Herzens, sagte er später
Und über sich selbst: Telepathus sum,
So ging er erleuchtet im Land herum.
Der letzte Lehrer mit Verstand und mit Erziehergabe, Der letzte Mensch, vor dem er Achtung habe: Sein Mathelehrer sei‘s gewesen, viele Jahre her, Was der gelehrt, das geh ihm aus dem Kopf nicht mehr.
Er hab die Schüler rechnen lassen, ältrer Herr mit Fliege, Wie hoch im Bodensee das Wasser stiege, Wenn alle Menschen dieser Erde sich zusammenfänden Und eng dort unten auf dem Seegrund ständen.
Nur vierzig Zentimeter, alle hätten darin Platz, Ein großer, ernster und erkenntnistiefer Satz; Das habe ihn beeindruckt, hab er nie vergessen, Mag jede Stunde Unterricht sich daran messen…
PS: „Panmulan“ ist ein Anagramm, der philosophische Kauz, der sich so nannte, er lebt nicht mehr. Die Weltbevölkerung hat sich seit der Rechenstunde damals mehr als verdoppelt, ja fast verdreifacht, heute stiege das Wasser also ein wenig höher, es hätten aber noch immer alle darin Platz.
Ihr Tanz ist ein freudiges Treiben,
Nur Lachen, Musik und Gesang,
An keinem der Orte ein Bleiben
Die Gassen und Ufer entlang;
In Larven, der ernsten Welt ledig,
Zieht lärmend das Volk durch Venedig.
Langsam, zwischen all den bunten,
Eine schwarze Maske geht,
Kurz nur, dann ist sie verschwunden,
Weiter drängt es sich und dreht.
Der Karneval legt seine Hände
Auf alle, macht Diener zu Herrn,
Um Mitternacht ist es zu Ende,
Das scheint jetzt noch unendlich fern;
Die Menge ein Schieben und Drücken,
Sie strömt über Plätze und Brücken.
Eine Gondel ohne Mieter
Fährt darunter stumm hinweg,
Nur die schwarze Maske wieder
Steht als Ruderer am Heck.
Der Abend naht plump, wär er prüde!
Es zieht dich ins Freie hinaus,
Das Herz ist verwundet und müde,
Die Stille, sie sucht sich ein Haus;
Wo ist, was wir suchen und lieben,
Und wo ist die Maske geblieben?
Kirchen, Opern, in Abteien
Keine Menschen, alles leer,
Vorne in den ersten Reihen
Sitzt sie, dreht sich zu dir her.
Im Ballsaal, dem cremeweiß barocken,
Schritt anmutig Nobilität,
Herabfallen Federn und Flocken,
San Marcos Uhr sagt: es ist spät;
Die letzten verlorenen Gäste
Erscheinen zum sterbenden Feste.
Im Orchester eine Geige,
Tiefer spielt sie und in Moll,
Die als schwarz maskierter Zeuge
Glück und Tod nur streifen soll.
Im alten Palazzo, den Zimmern,
Geht nachts eine Kerze umher,
Die weißbraunen Böden, sie schimmern,
Durch Fenster weht atmend das Meer;
Du siehst die Gemälde von Frauen,
Willst lang in die Spiegel hier schauen.
Aus dem Dunkel einer Ecke
Stumm die schwarze Maske tritt,
Von der hohen, bleichen Decke
Flüstert leise: nimm mich mit.
Zwischen den Jahren die Nacht hinein
Erzählt man sich gerne Geschichten,
Vertrauter in flackerndem Kerzenschein
Fällt uns manch rare Begebenheit ein,
Von solch einer möcht ich berichten.
Hatt‘ in der Welt einen guten Freund,
Der liebte mit ehrlichem Herzen,
Die Vorsehung hat es nicht gut gemeint,
Selten sind liebende Seelen vereint,
Was blieb, sind erloschene Kerzen.
Nahm ihn zu einem Bekannten mit,
Der hatte ein folgsames Mündel,
Bewacht voller Argwohn auf Schritt und Tritt,
Niemand durft‘s ausführn, man biss auf Granit,
Mit Gleichmut ertrug es sein Bündel.
Lange mein Freund sich nicht eingestand,
Wie sehr er die Reizende liebte,
Die liebte ihn auch, gab nur scheu die Hand,
Strenger, obwohl sich Gelegenheit fand,
Erschien ihr Verzicht, den sie übte.
Jahre, die gingen im Flug vorbei,
Besuchte sie hoffend noch immer,
So schön auch verehrende Liebe sei,
Ewig nicht leuchtet der blühende Mai,
Da trat er bewegt in mein Zimmer.
„Ach, Freund, du weißt um mein Liebesleid,
Ich will nicht mehr schweigen und harren,
Der Brief ist geschrieben, das Pferd nicht weit,
Fliehen, Entziehen, es ist an der Zeit,
Der Alte, er hält uns zum Narren!“
„Heute in mondheller Mitternacht
Im Räuberkleid muss es geschehen,
Verzeih mir, das Ganze ist schlecht durchdacht“,
Reicht mir die Hand mit entschiedener Macht,
Ich habe ihn nie mehr gesehen…
Turm und Tor erkennt man nicht,
Eingehüllt in mattes Licht
Und von Dunst umgeben;
Hoch von oben, wo er thront,
Durch den Nebel scheint der Mond
Wie ein Rest an Leben.
Wie Gespenster, leichenblass,
Halb vermummt, doch nicht zum Spaß,
Huschen sie nach Hause;
Straßen, Gassen menschenleer,
Auf dem Marktplatz keiner mehr,
Alles lebt in Klause.
Armes Städtchen, bös entlohnt,
Abends scheinst du unbewohnt
In der kalten Stille;
Niemand geht mehr, niemand spricht,
Träge Schwaden, grau und dicht,
Lähmen Tat und Wille.
Fehlt der Tod nur, schrecklich er,
Dann das Bild vollendet wär,
Bosch und Bruegel grüßen;
Manchen kommt es sehr zupass,
Phantasieren dies und das,
Andre müssen’s büßen…