Schlagwörter
Bonlanden, Dichtung, Gedicht, Gedichte, Heimat, Lyrik, Poesie, Satire, Tante Lotte, Verse, Wanderschaft, Zimmermann

Axel Thorsen Schovelin: Sommerdag ved Eremitagesletten (19. Jh.)
Tante Lotte erzählt vom Opa
Der Wilhelm, euer Opa,
War Zimmermann, war G‘sell,
Der hat gut rechna könna
Und schnell. Mit siebzehn hat er
Der Oma a Kindle g‘macht,
Des bin i dann worda.
D‘Moral war damals strenger
Und sie, wer hätt‘ des dacht,
War no a halbs Jahr jünger.
Hat en sei Vatter, weil er
Au sonscht net gut do hat,
Im Streit enterbt, des hat er.
Auf d‘Walz isch er dann ganga,
Wie‘s Brauch immer war, drei Jahr,
Na hat er sich g‘fanga.
Isch mal üb‘r Wiesa g‘loffa,
Hen zu nem Gutshof g‘hört,
Die Zäun, die wara offa.
Der Gutsverwalter* isch dann
Scho komma auf em Pferd
Und hat en schwer versegglat.
Und weil der Opa sich g‘wehrt,
Hat der auf en neipeitscht no,
Paarmal, einfach so. Hat
Der Opa, weil‘s net lassa,
Er sei Pischtol rausg‘holt
Und hat en runterg‘schossa.
Zum Glück hat‘s Zeuga geba,
Ging bis vors Reichsg‘richt nauf,
Freig‘sprocha is er worda.
Dahoim hat er der Oma
Glei wieder a Kindle g‘macht,
Isch der Harold g‘worda.
Na aber, war‘s schlecht G‘wissa?
Im sechsta Monat hat
Er heirata sie müssa.
©Wolfregen
PS: Um unseren norddeutschen Lesern etwas Licht in das Dickicht und Dunkel der schwäbischen Sprache zu bringen, hier wieder einige Übersetzungsversuche ins Hochdeutsche:
„G‘sell“=Geselle, „rechna könna“=rechnen können, „a Kindle g‘macht“=ein Kind gezeugt, „des“=das, „i“=ich, „worda“=geworden, „d‘Moral“=die Moral, „no a halbs“=noch ein halbes, „en sei Vatter“=ihn sein Vater, „au sonscht net gut do“=auch sonst nicht gut getan (sich nicht gut benommen), „auf d‘Walz isch er dann ganga“=er ging dann auf Wanderschaft, „na“=dann, „g‘fanga“=gefangen, „isch mal üb‘r Wiesa g‘loffa“=lief (ging) einmal über Wiesen, „hen zu nem Gutshof g‘hört“=haben zu einem Gutshof gehört, „wara offa“=waren geöffnet, „scho komma“=schon gekommen, „em“=einem, „schwer versegglat“=lautstark kritisiert und für dumm verkauft, „g‘wehrt“=gewehrt, sich (verbal) verteidigt, „en neipeitscht no“=zudem noch auf ihn eingepeitscht, „weil‘s net lassa“=weil er damit nicht aufgehört hat, „sei Pischtol rausg‘holt“=seine Pistole herausgeholt, „en runterg‘schossa“=ihn heruntergeschossen, „Zeuga geba“=Zeugen gegeben, „bis vors Reichsg‘richt nauf“=bis vor das Reichsgericht (in Leipzig) hinauf, „freig‘sprocha is er worda“=er wurde freigesprochen, „dahoim“=daheim, „glei“=gleich, „g‘worda“=geworden, „schlecht G‘wissa“=schlechtes Gewissen, „sechsta“=sechsten, „heirata“=heiraten, „müssa“=müssen
* es soll sich sogar um den Baron selbst gehandelt haben und nicht um den Gutsverwalter, was auch den Gang bis vors Reichsgericht erklären würde; wie auch immer: das ist jetzt fast hundert Jahre her und keiner der Genannten lebt mehr und könnte es richtigstellen; ob Herr oder nur sein Verwalter, einer der beiden fiel jedenfalls vom hohen Ross herunter…