Schlagwörter
Bäcker, Bonlanden, Dichtung, Erinnerung, Gedicht, Gedichte, Heimat, Hochdeutsch, Lyrik, Poesie, Satire, Verse

Postkarte von Bonlanden (ca. 1912)
Tante Lotte erzählt vom Grüßgottsche
Vis-à-vis hat der Hermann sei Bäckerlädle g’hett,
Mei Bruder, der Werner, is als Kind
Oft bei ihm in der Backstub g’standa
Und wie dann au Zuzogne zu nem komma sind
Und alles anders worda is in Bo‘landa,
Wollt altbacka sei au der Hermann net.
Is ma in Lada reikomma, hat er „Grüüß Gott“ jetz g‘sagt,
Ganz langzoga und g’schwolla,
Hat ma a no‘mals Brot von ihm wolla,
Hat er‘s laut wiederholt: „Ein normaales Brot“,
Aufrecht is er dag’standa und hat wichtig guckt,
Hat’s Brot ins Brotpapier g’wickelt
Und die Registrierkass druckt.
Na han ihn einmal g’fragt,
I war scho beinah aus der Tür,
Hermann, warum sprichsch so komisch mit mir?
Na hat er hochdeutsch nur g‘sagt:
„Lotte, man muss mit der Zeit gehen“,
I musst mir‘s Lacha verbeißa,
Seither hat er bei uns der „Grüßgottsche“ g’heißa.
Des hat ihn aber net groß g’stört,
Die halb Kronastraß hat ihm später g’hört
Und mit seiner Tochter, der wischt Krott,
Is er am Sonntag durch da ganze Ort
Mit der Pferdekutsch g’fahra –
Des hätt er sich allerdings könna spara…
Hat mi an a Bo‘länderin erinnert,
Die mal nach Stuttgart nunterkomma is,
Wo se wieder da war, hat se zu de Kleider,
Die se dort g’seh hat, g’sagt:
Ta ra Knöpfe, ta ra Knöpfe, hinten ganz pehäbe!
©Wolfregen
PS: Weil Tante Lotte nun schon länger nicht mehr zu Wort gekommen (und wahrscheinlich vieles vergessen worden ist), hier eine Übersetzung ins Hochdeutsche:
„sei Bäckerlädle g’hett“=seinen Bäckerladen gehabt, „mei“=mein, „is“=ist, „Backstub g’standa“=Backstube gestanden, „wie dann au Zuzogne zu nem komma sind“=als dann auch Zugezogene zu ihm kamen, „worda“=geworden, „Bo’landa“=Bonlanden, „altbacka sei“=altbacken sein, „net“=nicht, „is ma in Lada reikomma“=ist man in den Laden eingetreten, „Grüüß Gott“ (dem „Gott“ folgt dabei ein stimmlos gehauchtes „tsch“)=der Versuch, hochdeutsch „Grüß Gott“ (Guten Tag) zu sagen, „jetz g‘sagt“=jetzt gesagt, „langzoga und g’schwolla“=langgezogen und geschwollen, „a no‘mals“=ein normales, „wolla“=wollen, „dag’standa“=dagestanden, „g’wickelt“=gewickelt, „Registrierkass“=Registrierkasse, „druckt“=gedrückt, „na han ihn“=dann habe ich ihn, „g’fragt“=gefragt, „i war scho“=ich war schon, „sprichsch“=sprichst du, „mir‘s Lacha verbeißa“=mir das Lachen verbeißen (verbieten), „g’heißa“=geheißen, „des“=das, „net groß g’stört“=nicht sehr gestört, „die halb Kronastraß“=die halbe Kronenstraße, „g’hört“=gehört, „wischt Krott“=wüste (hässliche) Kröte, „da ganze Ort“=den ganzen Ort, „mit der Pferdekutsch g’fahra“=mit der Pferdekutsche gefahren, „hätt könna spara“=hätte ersparen können, „mi an a Bo‘länderin“=mich an eine Bonländerin, „nunterkomma is“=hinuntergekommen ist, „wo se“=als sie, „zu de“=über die, „g’seh“=gesehen, „ta ra Knöpfe, ta ra Knöpfe, hinten ganz pehäbe“=pseudohochdeutscher Versuch, zu sagen: da herunter (ta ra), dort hinunter (ta ra), hinten ganz eng (phäb)
Ich liebe mundartliche Texte, besonders mit Übersetzungen 🙂 .
Zudem hoffe ich, dass Tante Lotte noch unter den Lebenden weilt, denn mit einem Computer muss ein älteres Mädchen nicht umgehen können.
Schönen Sonntag euch Beiden,
Anna-Lena
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Herzlichen Dank, liebe Anna-Lena,
„dat du min Leevsten büst, dat du woll weeßt“, ich liebe solche Texte auch (und je weiter weg sie entstanden sind, desto besser).
Bei Tante Lotte muss ich Dich leider enttäuschen: sie ist 2016 im Alter von 93 Jahren verstorben, seither gespenstert sie und es gibt viele Anekdoten und Geschichten, die noch zu erzählen sind…
Liebe Grüße
Wolfregen
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Dann hoffe ich, dass sie hell im Kopf bleibt und weiterhin durch deine Gedanken geistert und dir Schönes aus dem Jenseits zuflüstert 🙂 , zu deiner und unserer Freude. 😉
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Die heiteren Sachen überwiegen, wenn sie etwas sehr Ernstes zu sagen hatte, sprach sie übrigens immer Hochdeutsch.
Und à propos „dass sie hell im Kopf bleibt“ – senil war Tante Lotte nicht, sie konnte am Ende nur nicht mehr gehen, gegangen ist sie dann aber doch…
Noch einmal Grüße
Wolfregen
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Über die „wischt Krott“ habe ich herzlich gelacht, nachdem sich die Stimmung im Gedicht schon so aufgebaut hatte. Bin ich froh, durch Lieben meines Lebens eine „alemannische Grundausbildung“ bekommen zu haben, damit es beim Lesen in Gedanken klingt.
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Dann kann ich nur wünschen, dass es nicht bei der „Grundausbildung“ bleibt, sondern noch ein „alemannischer Meisterkurs“ folgen wird…
Herzlichen Dank für den Kommentar und liebe Grüße
Wolfregen
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Köstlich!
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Für Nordlichter muss sich die Sprache hier unten wie die von Außerirdischen anhören…
Liebe Grüße und herzlichen Dank
Wolfregen
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Natürlich, spätestens seit Wollw Kriwaneks UFO-Lied wissen wir, dass die Ausserirdischen zumindest auch Schwäbisch schwätzen. ^^
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Das Lied muss ich mir unbedingt anhören, um mitreden zu können…
Noch einmal Grüße
Wolfregen
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Bis auf die wüste Kröte und die Knopfleisten konnte ich – langsam zwar, aber doch – ziemlich gut folgen. 😉
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Sehr schön, das freut mich!
Das Schwierige und für Nichtschwaben wohl auch Verwirrende an der letzten Zeile ist („Knopfleisten“), dass die schwäbischen Ausdrücke „da ra“ (da herunter) und „phäb“ (eng) mit „ta ra“ und „pehäbe“ ver(pseudo)hochdeutscht werden…
Wolfregen
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ich hab auch lange auf den fildern gewohnt, da ist man wirklich mit der zeit gegangen. für meinen geschmack ein stück zu viel 😉
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Seit meiner frühen Kindheit hat sich dort vieles verändert, Bonlanden ist doppelt so groß wie damals, der Ort hat seinen Dorfcharakter fast vollständig verloren.
Die meisten Neubaugebiete entstanden erst danach, wo heute die Freizeitanlagen liegen, war damals noch Wiese. Seine Randlage am Schönbuch und das Bombachtal heben ihn dennoch ein wenig ab vom traurigen Rest…
Liebe Grüße
Wolfregen
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