Schlagwörter
Ballade, Dichtung, Donquichotterie, Gedicht, Gedichte, Lyrik, Massentourismus, Poesie, Satire, Venedig, Verse, Zeitgeist

Foto: ©Deror_avi, Il Canal Grande, Quelle: commons.wikimedia.org
Don Quichotte in Venedig
Der größte Tag des Conte Loredan
Fing eigentlich recht still und harmlos an,
Er trank Kaffee und aß ein Stück Biskuit,
Doch statt er dann in den Studiersaal tritt,
Kramt er im Ahnenschrank nach alten Sachen –
Er wird noch vieles heute anders machen…
Contessa merkte gleich, dass was nicht stimmt,
Anstatt er sich ein Buch zum Lesen nimmt,
Steht er vorm Spiegel, ganz ein Edelmann,
Und zieht sich Robe und Perücke an;
Das Haus hat er seit Jahren nicht verlassen,
Heut scheint es aber doch einmal zu passen.
Die Gondel, ungenutzt geraume Zeit,
Die wartet vor dem Eingang fahrbereit,
Am hintren Ende steht der Gondolier
Und denkt, ein Maskenball ist lange her;
Einsteigt der Samtgekleidete nun blande
Und rudernd geht es vor zum Canal Grande.
Touristen glauben, es wär Karneval,
Und machen Handybilder überall;
Der alte Conte aber, der hier fährt,
Meint‘s ernst: er hat der Welt den Krieg erklärt,
Dem Müll, dem Dreck, der trostlosen Moderne,
Versöhnung, Friedensschluss, das liegt ihm ferne.
Was hat man seiner Stadt auch angetan
Und ihm damit, dem Spross der Loredan?!
Den Degen zieht er, aufrecht steht er da,
Die Leute lachen, manchen geht es nah;
Die wenigsten nur scheinen zu begreifen,
An welchem Abgrund solche Taten reifen.
Der Adel wollte keine Kinder mehr,
Sobald man unter fremder Herrschaft wär;
Die Polizei fährt auf, was liegt daran?!
Das Ziel heißt Kreuzfahrtschiff: jetzt greift er an!
Im Abendblatt wird dann Contessa lesen,
Ob’s doch ein Billigladen nur gewesen…
©Wolfregen
PS: Mit dem Namen „Loredan“ ist keine reale Person der Gegenwart gemeint.
Er steht als Sinnbild für das alte Venedig, in welchem diese Patrizierfamilie einst eine bedeutende Rolle spielte; allerdings sollen auch noch heute einige Angehörige dort zurückgezogen leben.