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Caspar David Friedrich: Schneehügel mit Raben (o.J.)

Das weiße Schloss

Im Zornwald steht ein weißes Schloss,
Man kann es schwer nur finden,
Am Eingang scharrt ein böses Ross,
Wen’s ansieht, muss erblinden;
Ein tiefes Wasser schließt drumher,
Hat lang schon keine Brücke mehr,
Nur wenn der Teich gefroren,
Tritt ein man ungeschoren.

Sie hören’s, wissen sich verschont,
Der Bruder und die Schwester,
Von sieben Raben sei’s bewohnt,
Sie glauben’s umso fester;
Die können sprechen weis und wahr
In jeder Raunacht vor Neujahr,
Kaum liegt nun Reif am Morgen,
Gehn sie, sich Rat erborgen.

Kein Pferd am Schlosstor hält sie fern,
Das Eis hat auch getragen,
Die sieben Raben geben gern
Frei Antwort auf drei Fragen:
Dies nicht zu wissen, macht uns bang,
Sagt, leben unsre Eltern lang?
Ihr werdet’s heut noch sehen,
Müsst aus dem Wald nur gehen!

Der Bruder und die Schwester war’n
Kaum fern von Waldes Wegen,
Da trägt man auf zwei schwarzen Bahr’n
Die Eltern tot entgegen;
Sehr traurig kehren sie zurück
Und fragen nun mit wehem Blick:
Ob wenigstens, ihr Raben,
Wir zwei uns lang noch haben?

Die hüpfen her und tuscheln leis
Und senken ihre Schnäbel:
Dann geht hinaus aufs dünne Eis,
Grad lichtet sich der Nebel!
Verängstigt schleicht das Schwesterlein
Und bricht auf dünnster Stelle ein,
Tut augenblicks versinken
Und jämmerlich ertrinken.

Ihr Bruder, der nicht helfen konnt,
Am Ufer steht alleine,
Starrt in den aufgebrochnen Grund
Im trüben Sonnenscheine:
Die letzte Frage, die ich hab,
Dann stoßt auch mich ins nasse Grab,
War’s vorbestimmt zu sterben?
Stürzt ihr uns ins Verderben?!

Die schwarzen Vögel sprechen nicht,
Es scharrt das Ross stattdessen,
Dem Bruder nimmt’s das Augenlicht,
Das er so frech besessen;
Im Zornwald irrt er, blindgemacht,
In ewig langer, dunkler Nacht,
Dann fängt es an zu schneien,
Kein Wandrer hört sein Schreien…

©Wolfregen