
Giovanni Migliara: Scene veneziana (ca. 1830)
Perücke, Spiegel und Masken
Die Angst geht um in Schön-Venedig,
Denn hübsche Frauen, jung und ledig,
Verschwinden spurlos in der Nacht;
Es trifft nur bessrer Häuser Töchter,
Ein Mörder geht, nur diese möcht er,
Ist bald schon schrecklicher Verdacht.
Man findet lange keine Leichen,
Wie sich die Taten aber gleichen:
Ist immer stiller Mondenschein,
Kein Wind weht her aus der Lagune,
Das Wasser ruht an Pfahl und Buhne,
Die Gondeln schimmern schwarz und fein.
Vergeblich ihre Eltern warnen,
Dass sich die schlimmsten Teufel tarnen,
Auf Bälle gehn die Töchter doch;
Dort steht er, der die Angst verbreitet,
Maskiert und tadellos gekleidet,
Das Haar gepudert noch und noch.
Er schaut sie an und spricht sehr vage
Und tanzen kann er ohne Frage,
Er scheint aus einem noblen Haus,
Ist höflich und auch gut erzogen –
Wie sehr der Anschein doch gelogen,
Er sucht ja schon sein Opfer aus!
Und hat ein neues er gefunden,
Dann überlegt er schwarze Stunden,
Wie er es lockt ins Netz herauf;
Sitzt endlich er mit ihr zu Tische,
Serviert er Kerzenlicht und Fische
Und draußen geht der Mond nun auf.
Iss nicht vom Apfel, der vergiftet,
Nimm nicht den Kamm, der Schaden stiftet,
Am Eingang unten steht dein Sarg!
In Kleid und Mieder wird ihr enge,
Der noble Herr, er blickt so strenge,
Welch böse Absicht er verbarg!
Im Spiegel sieht er seine Glatze,
Vorüberhuscht die schwarze Katze,
Die Tote trägt er schnell hinab;
Die Kerzen brennen fröhlich weiter
Und auch die Masken bleiben heiter,
Doch die Perücke ist herab.
Er fährt hinaus, bald wird es dämmern,
Noch ist es still, ein süßes Hämmern
Verspürt er in der freien Brust;
In einem Glassarg, auf dem Floße
Liegt wie Schneewittchen diese Rose,
Sie anzusehen, ist schon Lust!
„Ich bring dich auf die Toteninsel,
Schreibt keine Feder, malt kein Pinsel,
Wie traurig ich dich schlafen seh;
Mond, gieß dein Licht auf diese Wangen,
Eilt, einen Engel zu empfangen,
Charon, der Fährmann, seufzt vor Weh…“
Wie man ihm auf die Spur gekommen,
Wo man ihn endlich festgenommen,
Verraten diese Zeilen nicht;
Lang steht er auf der Seufzerbrücke
Mit selig irrem Mörderblicke
Und sieht noch immer ihr Gesicht.
©Wolfregen
So richtig „stimmungsvoll“. 🙂 Beim Lesen läuft förmlich ein Film vor meinem inneren Auge ab. Die dunkle Seite des Zaubers von Venedig.
LG, Eberhard
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„Die dunkle Seite des Zaubers von Venedig“, sehr schön ausgedrückt, vielen Dank!
Beim Schreiben sah ich auch den Film, musste allerdings mehrfach lachen, weil alles doch ein wenig grotesk und skurril daherkommt…
Herzliche Grüße
Wolfregen
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Kann ich mir gut vorstellen.
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Hat dies auf penwithlit rebloggt und kommentierte:
Richly romantic!
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Lieben Dank fürs Rebloggen!
Herzliche Grüße
Wolfregen
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Das geheimnisvolle Venedig… wunderbar wiedergegeben.
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Herzlichen Dank für das Kompliment!
Liebe Grüße
Wolfregen
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Uiiii, da laufen mir Schauer den Rücken hinunter.
Sehr eindrucksvoll und das ausgesuchte Gemälde passt hervorragend.
Liebe Grüße
Brigitte
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„Da laufen mir Schauer den Rücken hinunter“ – jetzt weiß ich nicht, ob ich mich bedanken darf oder entschuldigen muss; über den Kommentar jedenfalls freue ich mich…
Liebe Grüße
Wolfregen
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Aber ganz klar ist das ein Kompliment *lol*
Was wäre ein Krimi ohne Schauer über den Rücken… langweilig oder 😉
Liebe Grüße
Brigitte
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