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Dichtung, Erinnerung, Gedicht, Gedichte, Leben, Lyrik, Poesie, Stadt, Verse, Wahnsinn, Wanderprediger, Zeitgeist
Der Wanderprediger
In der Fußgängerzone sah ich ihn
Von Konstanz und später in Freiburg wieder,
Laut predigend zog er dahin,
Stehenzubleiben vermied er;
Die Leute sahen ihm schweigend nach,
Während er weiter unbeirrt sprach.
Überragte sie alle um einen Kopf,
Wirr war sein Haar, doch klar seine Stimme,
Die meisten dachten wohl: armer Tropf,
Mir schien er voll ratlosem Grimme;
„Heiß wird der Sommer“, sagte er,
Und manches Wunderliche mehr.
Durch welche Wüste von Innenstadt
Mag heute der Einsame gehen,
Ich habe ihn nie mehr gesehen,
Ob er noch Worte wie damals hat?
Oder lebt in einer Psychiatrie,
Predigt den Wänden und starrt auf sie…
©Wolfregen
puzzleblume sagte:
Dein sehr bildhaftes Gedicht erinnert mich an die Geschichte des autodidaktischen Naturphilosophen und Predigers Gustav Nagel aus Arendsee in der Altmark, der entmündigt in der Psychatrie Uchtspringe starb. Meine Mutter hat ihm als Kind noch Anfang der 30er Jahre bei seinen abendlichen „Andachten“ zugehört, denn er verteilte Äpfel an alle. In Arendsee gibt es inzwischen nun doch eine etwa lebensgrosse Bronzeplastik, die in ihrem Dahineilen ganz deiner Beschreibung ähnelt. Eine schöne Erinnerung für mich, an die alten Erzählungen.
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Wolfregen & Constanze sagte:
Herzlichen Dank für den interessanten Kommentar,
schön, dass mein Gedicht solche Assoziationen und Erinnerungen weckt, habe einmal nachgeschaut und etwas über „gustaf“ Nagel gelesen: unter vier verschiedenen Staatsformen lebte er, mit allen hatte er Ärger, also ein echter Sonderling…
Liebe Grüße
Wolfregen
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puzzleblume sagte:
Seine Ideen waren und wären auch heute ein Stein des Anstosses.
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Wolfregen & Constanze sagte:
Davon bin ich absolut überzeugt (nicht unbedingt von seinen Ideen)…
Noch einmal Grüße
Wolfregen
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Monika-Maria Ehliah sagte:
Menschen die oftmals viel zu sagen haben / hätten werden nur zu gerne weggesperrt…
die wahren Irren sind unter uns…
Segen!
M.M.
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Wolfregen & Constanze sagte:
Wie recht Du hast, liebe Monika-Maria,
und hinter dem eisernen Vorhang wurden die Abweichler oft nicht in Gefängnisse, sondern in Psychiatrien gesteckt, man unterstellte ihnen also eine Geistesstörung, wenn sie den Verheißungen eines „real existierenden Sozialismus“ keinen Glauben schenken wollten…
Herzlichen Dank, Segen auch Dir
Wolfregen
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finbarsgift sagte:
Beeindruckende Zeilen, lieber Wolfregen,
moderne Wanderprediger sieht man in der Kesselstadt auch immer mal wieder, meistens reden sie laut vor sich hin und erstaunen die Menschen…
Liebe Abendgrüße vom Lu
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Wolfregen & Constanze sagte:
Danke, lieber Lu,
das Beeindruckende bei „meinem“ war, dass er völlig autistisch wirkte, keinen Kontakt suchte, sondern nur sehr laut predigend durch die Menge ging, links und rechts die Läden, er dazwischen, ärmlich, fast verlottert, aber hünenhaft groß, auch ohne religiöse Botschaft, so weit ich ihn verstand, also mehr Augur als Missionar…
Liebe Grüße
Wolfregen
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finbarsgift sagte:
So ähnlich haben sich einige schon auf der Kö in Stuggi präsentiert. Irgendwie doch immer wieder irritierend…
Liebe Abendgrüße vom Lu
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Wolfregen & Constanze sagte:
Wenn man nur in deren Schädel sehen könnte –
oder lieber doch nicht…
Ebenfalls liebe Grüße
Wolfregen
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finbarsgift sagte:
*schmunzel *
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eleucht sagte:
Und hier bei uns ist er (oder ein solcher) auch schlimme Dinge predigend durch die Straßen gelaufen. 🙂
Ein schönes Wochenende, Eberhard
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Wolfregen & Constanze sagte:
Dann gibt es ihn also doch noch
(oder einen solchen),
schön zu wissen…
Gleichfalls ein schönes Wochenende
Wolfregen
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Anna-Lena sagte:
Passen sie nicht mehr in unsere Zeit und werden deshalb belächelt und ignoriert? Vielleicht sollte man ihnen einfach nur zuhören, sie ernst nehmen und darüber nachdenken, ob das, was sie sagen, nicht vielleicht doch Hand und Fuß hat?
Mit nachdenklichen Grüßen
Anna-Lena
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Wolfregen & Constanze sagte:
„Ein Stäubchen ist’s, des Geistes Aug‘ zu trüben.
Im höchsten palmenreichsten Stande Roms,
Kurz vor dem Fall des großes Julius, standen
Die Gräber leer, verhüllte Tote schrien
Und wimmerten die röm’schen Gassen durch.“
(Hamlet I,1)
„Doch wolltet Ihr den wahren Grund erwägen,
Warum die Feu’r, die irren Geister alle,
Was Tier‘ und Vögel macht vom Stamm entarten
Und Greise faseln, Kinder prophezein;
Warum all diese Dinge ihr Gesetz,
Natur und angeschaffne Gaben wandeln
In Missbeschaffenheit: nun so erkennt Ihr,
Der Himmel hauchte diesen Geist in sie,
Dass sie der Furcht und Warnung Werkzeug würden
Für irgendeinen missbeschaffnen Zustand.“
(Julius Cäsar I,3)
Zwei Shakespeare-Zitate, liebe Anna-Lena,
die mir immer einfallen, wenn irgendwo „schräge Vögel“ auftauchen…
Herzliche Grüße
Wolfregen
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Anna-Lena sagte:
Da hast du aber zwei besondere Zitate ausgesucht, lieber Wolfregen. Den seligen William würde es sicher erfreuen.
Herzliche Grüße auch zu dir,
Anna-Lena
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Wolfregen & Constanze sagte:
Ja…und hoffentlich auch Dich…
Liebe Grüße
Wolfregen
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